Origami-Ausstellung in Mertingen: Faltkunst voller Faszination
In Mertingens Alter Schule tummeln sich kunstvoll gefaltete Individuen. Welcher Origami-Meister sie gefertigt hat und was dahinter steckt.
In den Händen der meisten Menschen verwandelt sich ein Blatt Papier mutmaßlich in ein schräges Gebilde, einen zweckmäßig zusammengefalteten Zettel oder eine achtlos zerknülltes kugelförmiges Etwas. Zugegeben: Wer als geschickter Bastler hantiert, sich auch auf den Umgang mit Schere und Klebstoff versteht, erzielt fernab von jener Stümperei höchst ästhetische Ergebnisse. Nachgerade künstlerisch aber ist einzustufen, was es jetzt in der Sonderausstellung im Museum in Mertingens zu sehen gibt.
Dort nämlich stellte Origami-Meister Peter Stein filigrane Objekte der chinesischen und japanischen Faltkunst aus, die ganz besonderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen: Sie werden aus quadratisch geformten Papier-Blättern geformt, dürfen nicht beschnitten oder mit Kleister zusammengehalten werden und am Ende muss jede Ecke, jede Kante in der finalen Form verarbeitet sein.
Die uralte Kunst des Papierfaltens entstand sehr wahrscheinlich im ersten oder zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in China und gelangte von dort Jahrhunderte später nach Japan. Die Figuren entstehen aus einem einzigen Blatt Papier.
Schere und Klebstoff sind bei den Origami-Figuren, die zwei- oder dreidimensional sein können, tabu. Meistens werden quadratische Blätter aus einem nicht zu dicken Paper verwendet-
Grundfiguren wie Kranich und Frosch sind schon Hunderte von Jahren alt und werden noch immer hergestellt. Origami-Figuren besaßen eine zeremonielle und religiöse Bedeutung - Papierfiguren mit einem solchen Zweck sind "Noshi", die noch heute verschenkt werden. Auch der Kranich, der als heiliger Vogel galt, ist eine klassische Origami-Figur - er symbolisiert heute wie damals Glück und Frieden. Man glaubte, dass ein Mensch einen Wunsch frei hätte, wenn er tausend solche Kraniche faltet.
Zunächst blieb die Origami-Kunst der reichen Oberschicht vorbehalten - Papier war wertvolles Gut und nur wenige konnten es sich leisten. Ab 1333 bis 1568 entstand die Origami-Tradition. Als im 17. Jahrhundert Papier einfacher und preiswerter hergestellt wurde, entstanden viele klassische Origami-Figuren. Origami war nun eher Unterhaltung und Zeitvertreib, das Wissen wurde mündlich weitergegeben. Erst ab dem 17. Jahrhundert gab es schriftliche Anleitungen. 1797 entstand das "Sembarazu Orikata" (übersetzt: Wie man tausend Kraniche faltet).
1854 wurde "Kan No Mado"( "Fenster in der Mitte des Winters") veröffentlicht, eine Sammlung von fast 150 Origami-Modellen, unter anderem das berühmte Modell für den Frosch, der sogar Hüpfen kann, wenn man sein Hinterteil mit dem Finger auf die Unterlage drückt und dann loslässt.
Ägypter und die Bewohner von Mesopotamien hatten unabhängig die Kunst des Papierfaltens entwickelt. Da im Islam war die bildliche Darstellung von Menschen und teilweise auch Tieren strikt verboten: stattdessen entstanden in der islamischen Kunst faszinierende geometrische Muster, Formen und Figuren. Die Origami-Kunst wurde als Teil der mathematischen Geometrie verstanden. Bei der Weltausstellung 1878 in Paris kam es zu einer Verschmelzung von europäischer und asiatischer Origami-Kunst.
Alle kleinen, weißen Wesen sind aus quadratischen Papierchen gleicher Größe geformt, und doch sind es Individuen. Keines ist identisch mit dem anderen. Entstanden sind sie unter den Händen eines Musikers, die meisten davon in nächtlichen Stunden. Peter Stein ist Geiger, war lange Zeit Konzertmeister der Bayer Philharmoniker und pflegt seit einigen Jahren Origami, dieses stumme künstlerische Ausdrucksmittel als Ausgleich und Ergänzung zum Musikeralltag.
Als Kind habe er in einem VHS-Kurs die erste Begegnung mit der japanischen Faltechnik gehabt, erzählt Stein. Damals allerdings waren es die traditionellen bekannten kantigen Figuren, die in etwa bei jedem gleich aussehen, wenn er die vorgegebenen Schritte befolgt. Als er dann vor etwa 15 Jahren in Salzburg eine Ausstellung mit Arbeiten von Origami-Künstlern aus aller Welt besuchte, war das die Initialzündung für seine neue Leidenschaft. „Ich war fasziniert, was alles mit Papier möglich ist“, erzählt Stein, der seitdem seine eigenen Figuren entwirft und formt.